Samstag, 26. Juli 2008

Thomas Crofton Croker

Thomas Crofton Croker (1798-1854) war ein irischer Altertumsforscher. Er widmete sich der Sammlung alter Poesie und Folklore aus dem irischen Kulturraum. Seine Volksmärchen-Sammlung „Irische Elfenmärchen“ („Fairy Legends and Traditions of the South Of Ireland“) (1825-27) wurde bereits 1826 von den Brüdern Grimm ins Deutsche Übersetzt. Wilhelm Grimm fügte der Übersetzung ein umfangreiches Vorwort zum Wesen der Elfen bei.

Donnerstag, 17. Juli 2008

Der Märchenprinz

Gerade die populären Märchen sind dadurch so bekannt, dass sie von konkreten Figuren erzählen, wie etwa Aschenputtel, Dornröschen oder Rumpelstilzchen. Diese konkreten Figuren bleiben im Gedächtnis, charakterisieren das Märchen und machen es unverwechselbar. Genauso gibt es aber auch allgemeine Figuren, die als Figuren für sich stehen, die mit einem Wort bezeichnet werden und dadurch charakterisiert sind. Diese Figuren werden auch Archetypen genannt.

Eine Figur, die immer wieder auftaucht, ist der Prinz. Der Märchenprinz hat ein vorrangiges Ziel: die Brautgewinnung. Und damit ist er äußert erfolgreich. Schneewittchen, Dornröschen, Aschenputtel, Rapunzel und wie sie alle heißen haben am Ende ihren Prinzen bekommen, ja, sie sind sogar von ihm gerettet und erlöst worden. Der Märchenprinz legt jedoch nicht zwangsläufig Wert darauf, eine "standesgemäße" Frau zu finden. Er heiratet aus Liebe, was das Beispiel Aschenputtel sehr deutlich zeigt, denn Aschenputtel ist keine Prinzessin, sondern Küchenmagd. So wird der Prinz zum Märchenhelden Nummer 1 und zum romantisch verklärten Objekt mancher Sehnsucht.

Die Brüder Grimm pflegten ihre Prinzen übrigens als Königssöhne zu bezeichnen, während bei Andersen immer vom Prinzen die Rede ist. Aber diese Unterschiede sind rein sprachlicher Natur. Den Grimms war es wohl wichtig, die Herkunft zu betonen und das Abhängigkeitsverhältnis. Ein Königssohn ist eben noch eindeutig Sohn, während ein Prinz noch als jung wahrgenommen wird, aber schon etwas unabhängiger wirkt. Wie dem auch sei, die Figuren bei Andersen und Grimm sind eindeutig Figuren des gleichen Typs. Allerdings gibt es das Prinzen-Motiv auch in verdrehter Variante: Die CD Der Märchenprinz von Christian Peitz zeigt diese vermeintlichen Helden von einer anderen Seite: als Faulpelze und Weicheier.

Erotische Motive in Dornröschen

Das Märchen Dornröschen enthält laut Iring Fetscher viele versteckte erotische Motive:
  • König und Königin können, wie es scheint, keine Kinder bekommen. Bei einem Bad trifft sie einen Frosch, der ihr eine Schwangerschaft prophezeit. Fetscher meint, der Frosch müsse biologisch gesehen, nicht unbedingt ein Frosch sein. Rechtlich gesehen schon, vielleicht ein einfacher Mann aus dem Volk, mit dem die Königin sich vergnügte. Das würde zumindest die plötzliche Schwangerschaft erklären.
  • Es ist kein Zufall, dass sich Dornröschen gerade an einer Spindel sticht, denn öffentliche Spinnstuben waren im Mittelalter und auch noch im 18. Jahrhundert Orte, an denen abends bei schwachem Kerzenlicht erotische Spielereien stattfinden.
  • Zudem kann die Spindel auch als Phallussymbol und der Stich als Defloration gedeutet werden. Fetscher stellt die Frage, warum in einer Turmkammer neben dem Spinnrad auch ein Bett bereit steht.
In dieser Zusammenhängen wird folgende Formilierung aus dem Text der Brüder Grimm etwas zweideutig: "In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, fiel sie in das Bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen Schlaf."

Mehr zu Dornröschen und anderen Märchen findet sich in dem Buch Wer hat Dornröschen wachgeküsst? von Iring Fetscher.

Dornröschen

Auch Dornröschen ist ein klassisches europäisches Volksmärchen, das in unzähligen Varianten erzählt und festgehalten wurde. Die "Geschichte von Troylus und Zellandine" (aufgeschrieben um 1330) enthält bereits das Motiv der schlafenden Schönheit. Prinzessin Zellandine hatte sich an einer Flachsfaser gestochen und liegt danach schlafend in einem Turmzimmer.

Eine frühe Variante ist das Märchen "Sonne, Mond und Talia" von Giambattista Basile, veröffentlicht 1634-1636. Hier ist Talia der Name der weiblichen Protagonistin. Diese sticht sich wie prophezeit an einer Handfaser. Ihr Vater ("ein vornehmer Herr") lässt die Leiche seiner Tochter im Turmzimmer eines "Lustschloss" aufbahren. Dieses Turmzimmer wird dann verschlossen. Allerdings klettert ein König, der einem Falken* gefolgt ist, an einer Leiter zum Fenster hinein. Er verfällt ihrer Schönheit und versucht sie zu wecken, was ihm jedoch nicht gelingt. Dennoch "trug er sie in seinen Armen auf ein Lager und pflückte die Früchte der Liebe". Neun Monate später wird ein Zwillingspaar geboren. Dieses Zwillingspaar will gesäugt werden und nuckelt an Talias Finger, wodurch diese erwacht. Sie nennt ihre Kinder Sonne und Mond. Schließlich kommt der König zurück zu ihr, die Königin wird eifersüchtig, will Talia samt ihrer Kinder verbrennen lassen, findet dann aber selbst im Feuer ihr Ende.

Bei Charles Perrault heißt das Märchen "Die schlafende Schöne im Walde" (1695). Diese Fassung des Märchens ist der grimmschen Fassung schon recht ähnlich. Es gibt sieben eingeladene Feen und eine beleidigte achte. Das Mädchen sticht sich nicht an einer Faser, sondern der Spindel, schläft hundert Jahre und wird durch einen Königssohn erlöst. Es bedarf dazu keines Kusses, sein Erscheinen genügt. (Er kniet vor ihrer Schönheit nieder.) Die beiden heiraten natürlich und bekommen Kinder. Allerdings ist das Märchen damit noch nicht zuende, denn die Mutter des Prinzen ist Menschenfresserin und will die Prinzessin und ihre Kinder verspeisen. Natürlich schafft sie es nicht, sondern fällt in einen Trog, in dem sich auch wilde Tiere befinden, die sie dann auffressen.

In der hierzulande bekannten "Dornröschen"-Fassung der Brüder Grimm (die erste Fassung ist aus dem Jahr 1812, die heute bekannte Fassung aus der 5. Auflage von 1857) findet sich die böse Königin im Gegensatz zu den Fassungen von Basile und Perrault nicht mehr. Das Märchen endet mit der Hochzeit Dornröschens mit dem Prinzen. Und ein Unterschied zur Fassung Perraults ist, dass nicht sieben Feen eingeladen werden, sondern zwölf. Die böse Fee ist die dreizehnte.

Interessant ist, dass in allen drei Varianten ein Koch auftritt. Bei Basile und Perrault rettet er die Kinder vor der bösen Königin. Bei Grimm will er dem Küchenjungen eine Ohrfeige geben, wird jedoch durch den hundertjährigen Zauberschlaf zunächst davon abgehalten.

Eine neue Fassung des Märchens gibt es im gleichnamigen Buch von Christian Peitz. Da wird das Märchen von "Dornröschen" in zeitgemäßer Sprache neu erzählt. Peitz erzählt das Märchen, wie man es kennt, nur nimmt er sich mehr Zeit, sowohl für farbige Details als auch für augenzwinkernde Bemerkungen, und so entsteht etwas Neues, ähnlich wie bei Erich Kästners Kinderbuchversion des Märchens Der gestiefelte Kater.

Eine augenzwinkernde Hörspiel-Hommage an das Märchen ist die Geschichte von "Rosdörnchen" auf der CD Märchenhelden unterwegs, ebenfalls von Christian Peitz. Hier bekommt die schlafende Schönheit es nicht mit einem Prinzen zu tun, sondern mit Zwerg Nase.

* Der Falke ist in der italienischen Erzähltradition ein wichtiges Symbol. Die italienischen Märchen und Novellen aus dem 14. bis 17. Jahrhundert sind einander in Erzählweise und Inhalt recht ähnlich. Basiles Märchensammlung aus dem 17. Jahrhundert ist neben der Novellensammlung von Boccaccio aus dem 14. Jahrhundert als Standardwerk zu nennen. Paul Heyse hat anhand der Novellensammlung Boccacios die Falkentheorie entwickelt. Es ist davon auszugehen, dass auch bei Basile der Falke nicht zufällig auftaucht. (Link zu Wikipedia)

Samstag, 12. Juli 2008

Božena Němcová

Božena Němcová (1820-1862) war Sammlerin tschechischer und slowakischer Volksmärchen. Sie wurde in Wien als Tochter eines österreichischen Kutschers und eines tschechischen Dienstmädchens geboren. Die Familie zog nach Tschechien, als der Vater eine Anstellung als herrschaftlicher Kutscher erhielt. Božena Němcová heiratete im Alter von 17 Jahren einen 15 Jahre älteren tschechischen Steuerbeamten. Aus dieser Ehe gingen zwar vier Kinder hervor, aber es war dennoch keine glückliche Ehe. Ihr Mann wurde in seinem Beruf häufig versetzt. 1842 zog die Familie nach Prag. Hier begann Božena Němcová zu schreiben, zunächst Märchen und Gedichte. 1843 hatte sie erste Veröffentlichungen in Zeitschriften.

Božena Němcová veröffentlichte zwei bedeutende Märchensammlungen. 1845-1846 erschienen die "Tschechischen Volksmärchen". Diese Sammlung wurde 1854/55 in einer erweiterten Neuauflage noch einmal veröffentlicht. 1857/58 erschien ihre zweite Sammlung "Slowakische Volksmärchen und Sagen". Über ihre Märchensammlungen hinaus schrieb sie verschiedene Erzählungen, aber auch politische Schriften. Ihre Sammlung tschechischer und slowakischer Märchen ist in Deutschland unter dem Namen "Das goldene Spinnrad" erhältlich. Leider ist "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", ihre Variation des Aschenputtel-Märchens der Brüder Grimm, in dieser Sammlung nicht enthalten.

Božena Němcová starb 1862 "körperlich und seelisch erschöpft" nach langer, schwerer Krankheit.

Donnerstag, 10. Juli 2008

Fernán Caballero

Fernán Caballero (1796-1877) hieß mit bürgerlichem Namen Cecilia Francisca Josefa Böhl de Faber y Larrea. Ihr Leben war sehr bewegt: Sie wurde geboren in der Schweiz, und nach der Trennung der Eltern ist sie beim Vater in Hamburg aufgewachsen, wo sie schließlich ein französisches Mädchenpensionat besuchte. 1811 kam die Familie wieder zusammen und zog nach Spanien, genauer nach Cádiz (Andalusien). Fernán Caballero war dreimal verheiratet, alle drei Männer starben. Der letzte beging nach vielen gescheiterten Geldgeschäften Selbstmord. Fernán Caballero fing erst spät mit dem Schreiben an. Man geht davon aus, dass ihr dritter Mann sie dazu ermutigt hat, diesem Interesse nachzugehen. Ihr erster Roman erschien 1849. Die Schriftstellerei bedeutete für sie Trost und Zuflucht. Mit Märchen allerdings beschäftigte sie sich wenig. Zwar gilt sie als erste und sehr wichtige Märchensammlerin, doch schrieb sie eher Romane.

Märchen wurden in Spanien vergleichsweise spät aufgeschrieben. Die Brüder Grimm, die auch über den Tellerrand Deutschlands nach Märchen forschten, kannten bis kurz vor ihrem Tod keine spanischen (und auch keine portugiesischen) Märchen. Fernán Caballeros Sammlung trug den Titel "Andalusische Volksmärchen und Volkslieder" und wurde 1862 ins Deutsche übersetzt. Die spanischen Volksmärchen gelten als wenig einzigartig. Abgesehen von Zitronen- und Olivenbäumen, die hier und da erwähnt werden, und auch von der Vorliebe für Esel als Reittiere, gibt es kaum Besonderheiten. Auch sucht man vergeblich nach dem spanischen Märchen-Klassiker. In spanischen Volksmärchen finden sich vor allem Motive wieder, die in Volksmärchen anderer europäischer Länder und in orientalischen Märchen auftauchen. Sicherlich sind sie dennoch interessant zu lesen, aber im Vergleich zu Volksmärchen aus anderen Ländern bleibt wenig Besonderes hängen.

Rumpelstilzchen

Bei Rumpelstilzchen verhält es sich ähnlich wie bei Aschenputtel: Es gibt viele unterschiedliche Versionen des Volksmärchens. Allein die Brüder Grimm hatten drei verschiedene, die sich in Details unterschieden. In einer lief das Männlein am Ende zornig davon, in einer anderen flog es auf einem Kochlöffel weg und erst in der letzten Version (erzählt von Dortchen Wild) zerriss sich Rumpelstilzchen selbst in zwei Teile. Veröffentlicht wurde diese Version im Zweitdruck der grimmschen Sammlung (1819). Bekannt ist Rumpelstilzchen vor allem durch seinen Ausspruch:
"Heute back ich, Morgen brau ich,
Übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
Ach, wie gut ist, dass niemand weiß,
dass ich Rumpelstilzchen heiß!"

Bereits 1705 wurde eine französische Version veröffentlicht. Dort hieß der Kobold Ricdin-Ricdon. Das Märchen wurde aufgeschrieben von Marie-Jeanne L'Héritier de Villandon, der Nichte (bzw. Tochter, das ist nicht genau geklärt) von Charles Perrault. Hier sagt der Kobold zwar seinen Namen, aber durch einen Zauber vergisst die Prinzessin ihn gleich wieder. Im dieser französischen Version des Märchenmotivs lautet der Spruch des Männleins:
"Wenn dem Mädchen hübsch und fein,
das nur Kinderspiele kennt,
würde noch im Kopfe sein,
dass Ricdin-Ricdon der Name mein,
fiel' sie nicht in meine Händ'.
So hol' ich sie morgen. Nein,
niemand meinen Namen kennt."


In der englischen Version hieß das Männlein Tom Tit Tot. Diese Version des Märchens erschien 1878 im "Ipswich Journal". Der Ausspruch des Männleins lautet in diesem Märchen:
"Nimmy nimmy not,
Mein Nam' ist Tom Tit Tot!"

Es gibt neben der deutschen, der englischen und der französischen auch eine entsprechende dänische Märchenfigur Trillevip. Diese wurde 1854 aufgezeichnet und findet sich in Grundtvigs Märchensammlung. Hier sagt das Männlein
"Ich spinn und hasple fleißig,
Eine schöne Jungfrau weiß ich,
Trillevip heiß ich!"

Nicht nur die Sprüche des Männleins unterscheiden sich von Märchen zu Märchen, sondern auch das Aussehen. Bei den Grimms wird Rumpelstilzchen als Männlein mit Zipfelmütze beschrieben. Ricdin-Ricdon ist ein großer Mann mit dunklem Blick. Und Tom Tit Tot ist ein kleiner teufelsähnlicher Kobold: "Ein dünnes, kleines, schwarzes Ding mit einem langen Schwanz." Der Kobold, so heißt es im Märchen, wirbelt immerzu mit dem Schwanz herum. Das dänische Männlein Trillevip wird (ähnlich wie Rumpelstilzchen) als kleiner Knirps mit roter Mütze beschrieben.

Eine lustige Märchencollage, in der das Männlein nicht nur auf Rotkäppchen, sondern auch auf die sieben Zwerge trifft, gibt es auf der CD Rumpelstilzchen schlägt zurück von Christian Peitz.

Materialsammlung als Lieblingsliste auf amazon.de

Illustration: Holger Jarosch, Tabea Rabenow

Dienstag, 8. Juli 2008

Der Hüter des Misthaufens

-cp- "Der Hüter des Misthaufens" ist ein Märchenbuch von Peter Rühmkorf das sich von anderen Märchenbüchern sehr unterscheidet. Seine Märchen kann man zwar durchaus als moderne Kunstmärchen verstehen, abgesehen von den Parodien bzw. Anspielungen auf „Rotkäppchen“ und „Blaubart“, aber auch das wäre eine reduzierte Sichtweise. Rühmkorfs Märchen sind nicht modern, weil sie in anderen Zeiten als klassische Märchen spielen, das tun sie nämlich nicht bzw. nur teilweise, sondern weil sie aufgeklärt sind. Aufgeklärt heißt in diesem Fall, sie sind moralisch modern. Für Rühmkorf sind die Zeiten vorbei, in denen der König den Helden durch die Heirat mit seiner schönsten Tochter belohnt, denn die schöne Tochter lässt sich nicht verhökern, sie hat selbst auch noch ein Wörtchen mitzureden. Beispiele wie dieses durchziehen das amüsante Märchenbuch, das sprachlich auf sehr hohem Niveau und daher für Kinder ungeeignet ist. Eine spannende Lektüre für Märchenfreunde.

Samstag, 5. Juli 2008

Märchendichter und -sammler (Übersicht)

Die Übersicht über die wichtigsten Sammler und Dichter europäischer Märchen ist in drei unterschiedlichen Sortierungen möglich. Die übersichtlichste ist wohl die Regionale Sortierung:

1) alphabetische Übersicht der Märchendichter und -sammler

2) Regionale Sortierung der Märchendichter und -sammler

3) Märchendichter- und Sammler nach Geburtsjahr sortiert

Die Listen werden nach und nach ergänzt und einen möglichst vollständigen Überblick über die wichtigsten europäischen Märchendichter zu bieten.

Sesam, öffne Dich

Die bekannte Zauber-Formel zur magischen Öffnung verschlossener Türen stammt aus dem Märchen "Ali Baba und die 40 Räuber", einem der bekanntesten Volksmärchen aus 1001 Nacht. Der arme Holzhacker Ali Baba beobachtet eine 40 Mann starke Räuberbande, die sich mit dem Zauberwort "Sesam, öffne Dich" (auch "Sesam, öffne Dein Tor") Zugang zu einer Schatzhöle verschafft. Als sie wieder fortgegangen sind, bedient sich auch Ali Baba. Als dies sein gieriger Bruder mitbekommt und sich auch etwas von dem Schatz holen möchte, bekommen dies die Räuber mit und töten ihn. Es beginnt eine Verfolgung mit viel List und Tücke und gegenseitigen Fallen, bis die Räuber schließlich besiegt sind.

Interessant ist, dass sich die gleiche Geschichte auch in der Sammlung der Brüder Grimm findet. Nur ist das grimmsche Märchen, das den Titel "Simeliberg" trägt bereits mit dem Tod des gierigen Bruders zu Ende. Und die magische Tür-Öffnungs-Formel lautet bei den Grimms "Berg Semsi, tu Dich auf".

Svend Hersleb Grundtvig

Neben Hans Christian Andersen gibt es noch einen zweiten wichtigen Namen in Zusammenhang mit Märchen aus Dänemark: Svend Hersleb Grundtvig (1824-1883) war als Literaturwissenschaftler und Volkskundler tätig. Er gilt gemeinhin als Begründer der dänischen Volkskunde und wichtigster wissenschaftlicher Sammler und Herausgeber der dänischen Volksdichtung. Hierzu zählen neben den Märchen auch Volksweisen, Sagen, Sprichwörter, Kinderreime und Rätsel. Svend Grundtvig war der zweitälteste Sohn eines bedeutenden dänischen Theologen und Dichters (Nikolai Frederik Severin Grundtvig), der ihm auch Privatunterricht gab. Schwerpunkt waren dabei die Sprachen Griechisch, Englisch und natürlich Dänisch. Svend Grundtvig profitierte hierbei nicht nur von der Dichtkunst seines Vaters, sondern auch von seinem Zugang zu Quellen alter Texte wie zum Beispiel der Bibel, Homer, Herodot und der Edda.

Als er 15 war, bekam er von seinem Vater eine Ausgabe dänischer Volksweisen. Dies inspirierte ihn, sich in die Königliche Bibliothek zu begeben, um die älteren Quellen zu studieren. Sein Vater bremste ihn dabei nicht, und als Svend meinte, er habe das Gefühl, sich einer „brotlosen Kunst“ verschrieben zu haben und dass er alternativ lieber Ingenieuroffizier werden wollte, bekräftigte ihn der Vater in seiner Liebe zur alten Literatur und beteuerte, dass Svend sich genau dem richtigen Weg sei. In der Zeit von 1842 bis 1854 studierte er englische und Volksweisen in alten Handschriften, übersetzte diese zum Teil ins Dänische, beschäftigte sich dann mit dänischer Volksdichtung. Zwischendurch (1848-1851) musste er als Soldat am Schleswig-Holsteinischen Krieg teilnehmen. Nach dem Krieg setzte er seine Arbeit fort und brachte seinen ersten Sammelband dänischer Volksweisen heraus.

Von großer Bedeutung war auch sein dreibändiges Werk Gamle danske Minder (Alte Dänische Denkmäler), das er zwischen 1854 und 1861 herausgab. Dabei handelte es sich um eine dänische Volksmärchensammlung - vergleichbar mit dem, was die Brüder Grimm für Deutschland leisteten.

Viele weitere Sammlungen wurden noch veröffentlicht, und arbeitete Grundtvig als Dozent (ab 1863 als Professor) an der Universität Koppenhagen.

Splattermärchen

Am Märchen scheiden sich die Geister. Sicherlich ist jede Textsorte (und letztlich auch jeder einzelne Text) Geschmacksache, aber was die Menschen mit dieser speziellen Literaturgattung in Verbindung bringen, kann schon höchst unterschiedlich sein. Die einen verstehen unter dem Märchen etwas romantisch Verklärtes, die anderen sehen darin Geschichten voller Gewalt, die auf keinen Fall jugendfrei sind. Tatsache ist, dass das Märchen breit gefächert ist und durchaus beides beinhalten kann. Wobei die Hexe, die Hänsel und Gretel essen möchte, oder böse Wolf, der Rotkäppchen und Großmutter frisst, noch vergleichsweise harmlos sind. Denn unter den Volksmärchen der Brüder Grimm finden sich auch wahre Splattermärchen. Zwei Beispiele:

1) Fitchers Vogel
Ein Hexenmeister verkleidet sich als Bettler und entführt junge Frauen. Diese lässt er allein in seiner Waldhütte zurück und gibt ihnen die Freiheit alles zu tun, nur ein bestimmtes Zimmer dürfen sie nicht betreten. Wenn sie es doch tun finden sie in dem Raum Folgendes vor: (Zitat aus dem Originalmärchen) "Ein großes blutiges Becken stand in der Mitte, und darin lagen tote zerhauene Menschen, daneben stand ein Holzblock und ein blinkendes Beil lag darauf." Als der Hexenmeister nach Hause kommt, merkt er, dass die junge Frau in der Kammer war und... (Zitat aus dem Originalmärchen) "Er warf sie nieder, schleifte sie an den Haaren hin, schlug ihr das Haupt auf dem Bocke ab und zerhackte sie, dass ihr Blut auf dem Boden dahinfloss. Dann warf er sie zu den übrigen ins Becken."
Diese bei den Brüdern Grimm doch recht blutrünstige Geschichte gibt es auch in weniger brutalen Varianten. Der dänische Märchensammler Svend Grundtvig hat das Motiv in seinem Märchen "Das Schwein" verarbeitet. Ebenso taucht in die Geschichte in der Sammlung des Norwegers Peter Christen Asbjørnsen wieder auf, in dem Märchen "Die drei Schwestern im Berg". Das Motiv taucht auch im Märchen über den Ritter Blaubart auf, das es sowohl bei Charles Perrault als auch bei Ludwig Bechstein zu lesen gibt.

2) Von dem Machandelbaum
(Ein plattdeutsches Märchen.) Die Stiefmutter sagt zum Stiefsohn, er solle sich einen roten Apfel aus einer Kiste nehmen. Als er sich bückt um hereinzugreifen, schlägt sie den Deckel zu und ihm dadurch den Kopf ab. Sie setzt den toten Körper auf einen Stuhl, setzt den Kopf wieder drauf und bindet ihm ein Halstuch um. Sie gibt ihm einen Apfel in die Hand. Als die Schwester den Apfel nehmen will, fällt der Kopf hinunter und sie denkt, sie habe ihren Bruder ermordet. Die Stiefmutter beruhigt sie, hackt dann den Leichnam in Stücke und kocht ihn, um ihn nach und nach dem Vater zu servieren, der so unwissend seinen eigenen Sohn isst. Die Schwester sammelt die Knochen auf und begräbt sie unter einem Machandelbaum (plattdeutsch für "Wacholderbaum"). Der Junge wird als Waldvogel wiedergeboren. Später nimmt er in seiner Vogelgestalt Rache, indem er einen schweren Mühlstein auf die Stiefmutter fallen lässt, "dat se ganz tomatscht".
Die hochdeutsche Variante des Märchens "Der Wacholderbaum" findet sich in der Märchensammlung Ludwig Bechsteins.

Freitag, 4. Juli 2008

Aschenputtel

Eines der bekanntesten, wenn nicht das bekannteste Volksmärchen ist wohl "Aschenputtel". Man geht davon aus, dass eine Urfassung der Geschichte bereits im alten Ägypten und bei den Römern bekannt war, und dass heute ca. 400 verschiedene Fassungen des Märchens existieren. Eine frühe Fassung der Aschenputtel-Geschichte ist in der Märchensammlung des Italieners Giambattista Basile zu finden. Titel des Märchens ist "Die Aschenkatze", und die Protagonistin wird hier Lucrezia genannt. Auch beim Franzosen Charles Perrault taucht Aschenputtel auf. Hier heißt sie Cendrillon, und in der deutschen Übersetzung heißt das Märchen "Aschenputtel oder Das Gläserne Pantöffelchen". Diese französische Fassung ist die, an der sich die Disney-Film-Version orientiert, der ja oft vorgeworfen wird, sie habe das Grimmsche Original verfälscht. Dieser Vorwurf ist allerdings nicht richtig, denn man hat sich bei dem Film gar nicht am Grimm-Märchen orientiert, sondern an dieser französischen Version von Perrault, und in der gibt es die Mäuse, die zu Pferden werden, usw. Der Film übrigens heißt Cinderella, und genauso wird Aschenputtel im englischen Sprachraum üblicherweise genannt.

Die Brüder Grimm haben die in Deutschland bekannteste Fassung des Märchens zu Papier gebracht, und zwar mehr als hundert Jahre nach Perrault. Eine zweite bekannte Fassung aus Deutschland ist die von Ludwig Bechtstein, in der die Hauptfigur Aschenbrödel genannt wird. Der bekannte Film "Drei Nüsse für Aschenbrödel" geht allerdings nicht auf diese Fassung des Märchens zurück, sondern auf die Fassung der tschechischen Märchensammlerin Božena Němcová. Im Tschechischen heißt Aschenputtel übrigens Popelka, im Russischen wird sie Soluschka genannt, im Spanischen Cenicienta,...

Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass "Aschenputtel" ein weit gereistes Märchen ist. Es gibt zahlreiche Verfilmungen, Opern, Ballette, usw. Viele Umsetzungen der Geschichte sind mittlerweile weltberühmt. Dass es da zwangsläufig auch (mehr oder weniger liebevolle) Parodien geben muss, versteht sich von selbst. James Finn Garner hat eine politisch korrekte Version des Märchens geschrieben, und auf der CD Märchenzauber gibt es mit "Aschenputtel und der Nusskuchen" eine ironische Hörspiel-Hommage an den Aschenputtel-Stoff.

Kinder brauchen Märchen

Zu den Volksmärchen aus der Sammlungen der Brüder Grimm und anderer Märchensammler gibt es sehr verschiedene Ansichten. Einige Leute meinen die Märchen seien so grausam und gruselig, dass man sie Kindern nicht erzählen sollte. Der Psychologe Bruno Bettelheim (1903-1990) war da anderer Ansicht. In seinem Buch „Kinder brauchen Märchen“ schreibt er, dass Kinder durch Märchen sehr viel lernen können, weil diese Märchen sehr viele verborgene Weisheiten enthalten.

In jedem Fall haben Kinder, die diese Märchen kennen, anderen Kindern gegenüber einen Vorteil: Sie können erkennen und mitreden. Häufig wird man mit Motiven aus den Grimmschen Märchen konfrontiert: im Fernsehen, auf Werbeplakaten, usw. Sogar in manch einer Bäckerei, in der im Advent Knusperhäuschen angeboten werden. Leider kennen viele Kinder die Originalmärchen nicht mehr, sondern nur den Abklatsch, den Walt Disney, Simsala Grimm oder ähnliche ihnen bieten. In diesen Märchenverfälschungen ist die Veränderung des Originals für Kinder nicht ersichtlich. Und so verbreiten sich durch diese und andere Märchenverfälschungen Irrtümer. Zum Beispiel der, dass im Froschkönig die Prinzessin den Frosch küsst und er sich so in einen Prinzen verwandelt. Völlig falsch. Die Prinzessin hat den Frosch gegen die Wand geworfen und dann hat er sich verwandelt. Ist doch egal? Küssen ist schön, an die Wand werfen brutal? Auf solche Details kommt es nicht an? Doch, gerade diese Details machen die Märchen der Grimms so wichtig. Warum Küssen und an die Wand werfen für dieses Märchen einen riesigen Unterschied macht, zeigt die deutsche Sprache:
1) Das Wort Wand. Das Wort Wand ist aus dem Wort winden entstanden. Es heißt soviel wie 'das Gewundene' oder das Geflochtene'. Ursprünglich wurden Wände nämlich geflochten.
2) Das Wort Verwandlung. Auch das Wort Verwandlung ist aus dem Wort winden entstanden. Sich verwandeln bedeutet, sich selbst wenden, sich ändern. Und bei genauer Betrachtung fällt auf, dass das Wort Wand in dem Wort Verwandlung enthalten ist.

Man raubt Kindern die Möglichkeit, ein Gefühl für Sprache und kulturelle Zusammenhänge entwickeln zu können, wenn man ihnen die Märchen falsch erzählt. In jedem Fall sollten Kinder, bevor sie Märchen verniedlicht, verkitscht oder gar verfälscht über das Fernsehen kennen lernen, die Originalmärchen erzählt bekommen.

Mittwoch, 2. Juli 2008

Die Nachtigall in der Romantik und im Märchen

Es gibt kaum ein zweites Tier, das so symbolhaft für die Literaturepoche Romantik steht wie die Nachtigall. Berühmt und beliebt wegen ihres schönen Gesanges spielte die Nachtigall in zahlreichen romantischen Märchen, Gedichten und Dramen eine Rolle. Nicht nur der bekannte deutsche Romantiker Joseph von Eichendorff hat dem Vogel sein "Nachtigall" gewidmet. Er wird auch in einer bekannten Redewendung aus William Shakespeares "Romeo und Julia" erwähnt: "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche."

Und die Nachtigall taucht in verschiedenen Märchen auf, z.B. in Hans-Christian Andersens "Die Nachtigall" oder in Božena Němcovás "Der Adler, die Nachtigall und die Rose". Auch der irische Schriftsteller Oscar Wilde hat ein (sehr trauriges) Märchen über eine Nachtigall geschrieben: "Die Nachtigall und die Rose". Auf ironische Weise wird in dem Hörspiel "Der romantische Bäcker" von der CD Märchenhelden unterwegs mit der romantischen Nachtigall-Symbolik gespielt.